Man erzählt sich, dass auf der Flucht von Paris nach Varennes Ludwig XVI. und seine Familie von aufgebrachten Bürgern gestellt wurde. Diese Menschen hatten nie den König von Frankreich zu Gesicht bekommen, hatten nie Versailles betreten dürfen. Eigentlich hätte er unerkannt an ihnen vorbeiziehen können, doch sein Bild war auf jede Münze geprägt. Was einmal ein Zeichen seiner Macht war, war nun zum Fahndungsbild geworden.
Nicht Bilder haben Macht, sondern Bilder sind Machtmittel. Davon wissen Menschen, seitdem sie malen können. Und daß die Mächtigen sich der Bilder bedienen, um ihre Göttlichkeit bzw. Allgegenwart zu vermitteln, davon erzählt die Archäologie genauso wie die Kunstgeschichte von Tempeln, Palästen und Münzen. Das ist heute nicht viel anders.
Doch dieser Machtzusammenhang allein ist wenig aufschlußreich. Interessant ist vielmehr der Doppelcharakter. Wie in der Anekdote erzählt wird gibt es Momente, in denen die Bilder in den Händen der revoltierender Menschen plötzlich umfunktioniert werden. Was eine Insignie der Macht repäsentiert wird in einer bestimmten Situation zu einem Fahndungsbild.
Ist aber ein Münzbild mit einem Gemälde oder mit den Bildern des Films zu vergleichen? Gilt für Filmbilder das Gleiche wie für TV-Aufnahmen? Zweifellos gibt es hier Differenzen, die nicht verwischt werden sollen. Aber bei allen gedanklichen Exkursen kehrt auf seltsame Weise ein Gemeinsames der Bilder wieder zurück: der Machtcharakter über den Tauschwert. Ob Kino oder TV – die Bilder erreichen im industriellen Unterhaltungsbetrieb keine Öffentlichkeit, die sich nicht in einem Geldwert messen läßt. Ein Film ist gut, seine Bilder, seine Geschichte funktioniert, wenn er an der Kasse funktioniert, wenn er Einschaltquoten bringt. Er ist gut, weil er gesehen wird, er wird gezeigt, weil man davon ausgeht, daß viele ihn sehen wollen oder man viele dazu motivieren kann, ihn sehen zu wollen. Anders formuliert, es wird gesehen, was den meisten vertraut ist.
Und so wie man einst einem Louisdor vertraut hat (man bekam ja was für das Geld mit dem Bourbonen-Portrait), so vertraut man auch heute bestimmten Bildern, bestimmten Gesichtern, bestimmten Dramaturgien. Je nach Genre und Medium die entsprechenden Formate.
Die Frage aber ist, ob es Momente gibt, wo diese Formate plötzlich anders funktionieren? Momente, in denen die Geschichten plötzlich nicht mehr die sind, die man zu sehen bekommt, weil andere davon überzeugt sind, daß man nichts anderes sehen möchte, sondern in denen sie plötzlich Geschichten sind, mit denen man die eigene Geschichte zu erzählen beginnt?